EU-Parlament legt Berichtsentwurf zu Sammelklagen vor

Am 11. April 2018 legte die Europäische Kommission im Rahmen des sog. „New Deal for Consumers“ einen Vorschlag zur Komplettrevision der Richtlinie 2009/22/EG über Unterlassungsklagen vor, welche diese zu einem Instrument für Verbandsklagen ausbaut. Der Kern der Neufassung der Unterlassungsklagerichtlinie besteht in einer Erweiterung des Anwendungsbereichs um kollektive Leistungsklagen in allen Bereichen des EU-Verbrau-cherrechtes (insgesamt 59 Richtlinien und Verordnungen aus den Bereichen Geoblocking, Gewährleistungsrecht, Zahlungsdienste, Ökodesign, Datenschutz, etc.).

Damit könnten in Zukunft auch Schadensersatzansprüche kollektiv durchgesetzt werden. Der Entwurf geht somit deutlich über das deutsche Modell der Musterfeststellungsklage hinaus.

Nun hat der zuständige Berichterstatter Geoffroy Didier (FR, EVP) aus dem federführenden Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments seinen Berichtsentwurf zu diesem Vorschlag vorgelegt.


Zu den wichtigsten Aspekten des Berichtsentwurfs:


• „Opt in“ oder „Opt-out“?: Die EU-Kommission hatte sich in ihrer Empfehlung zum kollektiven Rechtsschutz aus 2013 eindeutig zum Opt-in-Modell bekannt. Dieses Modell erstreckt die Wirkung eines Urteils nicht auf Anspruchsinhaber, die nicht ausdrücklich ihre Beteiligung am Verfahren erklärt haben. Der im April 2018 veröffentlichte Vorschlag der EU-Kommission enthält an keiner Stelle die Verankerung dieses Grundsatzes. Es ist demnach nicht notwendig, dass klagende Einrichtungen verpflichtet werden, die durch sie vertretenden Geschädigten zu identifizieren („opt out“-Klage). Der Berichterstatter schreibt nun vor, dass das Einverständnis der Geschädigten zu einem „fortgeschrittenen Zeitpunkt des Verfahrens“ vorliegen soll – jedoch nicht um das Verfahren anzustoßen, nicht in reinen Unterlassungsklageverfahren und nicht für jene Verfahren, in denen es um Streuschäden geht (ÄA 24).

• Klagebefugte Einrichtungen und deren Finanzierung: Die Mitgliedstaaten sollen klagebefugte Einrichtungen ernennen und sich dabei an folgende Kriterien halten: 1) die Einrichtung muss ordnungsgemäß nach nationalem Recht konstituiert sein, 2) sie muss ein legitimes Interesse an der Einhaltung von Verbraucherrecht nachweisen können und 3) sie darf nur einen gemeinnützigen (also keinen profitorientierten) und unabhängigen (ÄA 9) Charakter haben. Gerichte sollen außerdem prüfen können, ob der jeweilige Zweck einer bestimmten Einrichtung die entsprechende Klage auch wirklich rechtfertigt. Schließlich sollen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass jede klagebefugte Einrichtung auch in jedem anderen Mitgliedstaat eine Klage einreichen kann. Der Berichterstatter plant nun folgende, neue Kriterien und Bedingungen für klagebefugte Einrichtungen einzuführen:

  • Ausschließlich unabhängige öffentliche Einrichtungen und Verbraucherverbände sollen klagebefugt sein (ÄA 17).
  • Die Einrichtung muss seit zwei Jahren existiert haben (ÄA 10), seit einem Jahr öffentlich aktiv für Verbraucherinteressen eintreten (ÄA 12) und in ihrem Mitgliedschaft mindestens fünf Verbände oder 250 natürliche Personen
  • umfassen (ÄA 11), um klagebefugt zu sein. Letzteres Kriterium kann an die Größe eines Staates angepasst werden.
  • Eine klagebefugte Einrichtung darf in keiner Weise von klagenden Rechtsanwaltskanzleien finanziert werden (ÄA 13).
  • Eine klagebefugte Einrichtung muss im Sinne der Transparenz relevante Aspekte ihres Aufbaus inklusive ihrer Statuten öffentlich zugänglich machen (ÄA 14).
  • Die Möglichkeit, ad hoc-Einrichtungen nur für einen bestimmten Zweck zu gründen, soll gestrichen werden (ÄA 1 & 16).
  • Die Mitgliedstatten sollen der EU-Kommission zudem eine Liste aller klagebefugten Einrichtungen zur Verfügung stellen (ÄA 15).

Zu den weiteren „Schutzmechanismen“ zählt auch, dass Einrichtungen nachweisen müssen, dass sie über ausreichend finanzielle Mittel für eine Klage verfügen. Der Berichterstatter streicht nun die Möglichkeit der Drittfinanzierung (ÄA 30), es sei denn es handelt sich um „individuelle Beiträge“, welche er auf eine „angemessene Summe“ beschränkt (ÄA 4). Drittfinanzierer dürfen die Entscheidungen der klagenden Einrichtung zudem nicht beeinflussen und Konkurrenten des betroffenen Unternehmens dürfen sich an der Finanzierung nicht beteiligen. Gericht sollen die Finanzierung durch Dritte prüfen können.

• Klageszenarien: Klagebefugte Einrichtungen sollen mehrere Möglichkeiten habe, eine Kollektivklage anzustrengen. Der Berichterstatter schränkt die Anwendbarkeit des Instruments nun auf Fälle von Verbraucherrechtsverstößen mit einer „breiten öffentlichen Wirkung“ ein (ÄA 6). Dieser Begriffe ist allerdings bisher nicht definiert. Zudem wird das „Kollektivinteresse der Verbraucher“ nun auch neu als das Interesse von mind. 50 Verbrauchern definiert (ÄA 8). Auch die tatsächliche Wirkung dieser Schwelle ist noch nicht klar. Letztlich soll eine Klage nur vorgebracht werden können, wenn nicht bereits ein Verfahren bzgl. desselben Akteurs/desselben Verstoßes/desselben Verbrauchers im selben Mitgliedstaat läuft (ÄA 18).

o Unterlassung: Als vorübergehende Maßnahme kann zunächst auf Unterlassung geklagt werden. Alternativ kann aber auch eine Klage vorgebracht werden, die nicht nur auf Unterlassung abzielt, sondern gleichzeitig darauf, einen tatsächlichen Verbraucherrechtsverstoß festzustellen. Bei beiden Verfahren ist kein Mandat vonseiten der mutmaßlich geschädigten Verbraucher notwendig, auch der Verlust oder Schaden muss nicht nachgewiesen werden.

o Entschädigung: Es kann zwischen drei Fällen unterschieden werden. Im einfachsten Fall ist die Zahl der Betroffenen bekannt und sie haben vergleichbaren Schaden erlitten. Hier können Verbände auf eine Entschädigung (u.a. Schadensersatz, Reparatur, Ersatzleistung, Preisminderung, Vertragsauflösung, etc.) klagen. Ein Mandat brauchen sie zunächst nicht. In einem zweiten Szenario ist der Streitwert so gering, dass die Zahlung von Schadenersatz an die Verbraucher unverhältnismäßig wäre. Auch hier wird kein Mandat benötigt. Wird ein Unternehmen dazu verurteilt, entstandenen Schaden auszugleichen, soll das Geld an gemeinnützige Zwecke fließen. Allerdings wurde dieser vom HDE kritisierte Fehlanreiz im Text des Berichterstatters bereist abgeschwächt (ÄA 3). Im dritten Szenario ist eine Sammelklage nur bedingt möglich. Es geht um komplexe Fälle, bei denen die Zahl der Geschädigten unklar und der individuelle Schaden sehr verschieden ist. Nationale Gerichte sollen dann zwar entscheiden können, dass EU-Recht verletzt wurde. Geschädigte müssten ihren Schadenersatz aber selbst einklagen und könnten sich auf das Gerichtsurteil berufen. Strafschadensersatz wird in diesem Zusammenhang vom Berichterstatter nun ausdrücklich verboten (ÄA 27).

• Das Prinzip „Wer verliert, bezahlt“: Am verbreiteten Grundsatz, dass der Unterlegene eines Verfahrens die Kosten zu tragen hat, wurde im Kommissionsvorschlag nicht festgehalten. Der Berichterstatter führt dieses Grundprinzip nun allerdings wieder ein (ÄA 29).

• Information der Geschädigten: Der Text sieht vor, dass jeder betroffene Verbraucher durch das beschuldigte Unternehmen und auf dessen Kosten über die abschließende Entscheidung in einem Verfahren zu informieren ist. Der Berichterstatter schränkt dies in seinem Text nun zumindest soweit ein, dass nicht jeder Verbraucher einzeln unterrichtet werden muss (ÄA 33).

• Offenlegung von Beweismitteln (Art. 13): Die von der Kommission vorgesehene Regelung geht von einer Informationsasymmetrie aus und fordert den Beklagten auf, etwaige begünstigende Beweise gegenüber dem Kläger offen zu legen. Der Berichterstatter schränkt dies nun darauf ein, was vor dem Hintergrund der legitimen Interessen aller Beteiligten verhältnismäßig ist (ÄA 38).

Allgemeine Bewertung: Das ursprünglich von der Kommission vorgeschlagene Modell zur Einführung einer Sammelklage lehnen wir ausdrücklich ab. Repräsentative Schadensersatzklagen müssen als Voraussetzung haben, dass die Verbraucher bekannt sind. Zudem sollte die Definition einer klagebefugte Einrichtung entgegen des Vorschlags EU-weit einheitlich und streng geregelt sein, um zu verhindern, dass einzelne Mitgliedstaaten den EU-Markt für eine Klageindustrie öffnen. Vor diesem Hintergrund macht der vorgelegte Berichtsentwurf Schritte in die richtige Richtung. Im mitberatenden Binnenmarktausschuss wurden zur entsprechenden Stellungnahme ebenfalls sehr positive Änderungsanträge eingereicht, die sogar noch weiter gehen und eine klare Opt-In-Regelung sowie die komplette Streichung von Leistungsklagen fordern. Damit bewegt sich das Dossier insgesamt in eine sehr aussichtsreiche Richtung (nämlich die der deutschen Musterfeststellungsklage); fast alle vom HDE in unserer Stellungnahme aufgeführten Punkte wurden von den Abgeordneten bereits in der ein oder anderen Weise adressiert.

Nächste Schritte: Zum vorgelegten Berichtsentwurf können nun bis zum 5. November 2018 Änderungsanträge eingereicht werden. Die Abstimmung des Berichts im Rechtsausschuss ist für den 6. Dezember 2018 vorgesehen. Der Binnenmarktausschuss wird seine Stellungnahme schon vorher abstimmen. Während also gute Chancen bestehen, dass das Parlament bis Ende des Jahres zu einer Verhandlungsposition kommt, schreitet der Ministerrat deutlich langsamer und weniger ambitioniert voran. Dort ist man noch damit beschäftigt, offene Fragen mit der Kommission zu klären und strebt keine Einigung unter der österreichischen Präsidentschaft bis zum Jahreswechsel an. Momentan ist somit unklar, wann die Trilogverhandlungen beginnen könnten und ein Abschluss des Verfahrens vor der Europawahl Ende Mai 2019 ist unwahrscheinlich. Es sei jedoch daran erinnert, dass es auf EU-Ebene keine Diskontinuität gibt und die Verhandlungen im Oktober 2019 fortgeführt werden könnten.

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